Bonn - Mit der molekulargenetischen Diagnostik steht der Medizin ein Instrument zur Verfügung, um schnell zu gesicherten Erkenntnissen über die Ursachen zu gelangen. Eine Studie hat jetzt gezeigt, dass diese Möglichkeit in Deutschland noch selten genutzt wird. Dadurch wird der Leidensweg der Betroffenen bis zu einer gesicherten Diagnose unnötig verlängert und unter Umständen ein möglicher Therapiebeginn verzögert. PRO RETINA Deutschland e. V. fordert daher, die bestehenden Möglichkeiten zu nutzen und damit mehr Menschen mit erblichen Netzhaut- und Sehbahnerkrankungen zu helfen.
Die Erkenntnisse zur geringen Nutzung der molekulargenetischen Diagnostik und der humangenetischen Beratung basiert auf einer Studie mit 225 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Etwa 14 Jahre vergingen bei ihnen von den ersten Symptomen bis zur gesicherten Diagnose. Bei lediglich 66 % der Befragten war ein Gentest durchgeführt worden, weniger als die Hälfte der Befragten (47 %) erhielt eine humangenetische Beratung. Dabei würden 85 % der Befragten eine Gentherapie in Erwägung ziehen.
„Eine gesicherte Diagnose ist der Schlüssel zur Lebensplanung und zu einer möglichen Therapie“, bringt es Dr. Sandra Jansen auf den Punkt. Sie ist Fachreferentin der an der Studie beteiligten Selbsthilfeorganisation PRO RETINA Deutschland e. V. Als Leiterin des Patientenregisters von PRO RETINA kennt Jansen die Lebensläufe vieler Betroffener: „Wir beraten viel zu oft Menschen, die einen jahrelangen Leidensweg hinter sich haben. Das darf nicht sein.“
Erblich bedingte Netzhautdystrophien gehören zu den seltenen Erkrankungen. Sie zu erkennen ist schwierig: aufgrund ihrer Seltenheit, aber auch wegen ihrer oft sehr unterschiedlichen Symptome. Daher nimmt die molekulargenetische Diagnostik einen hohen Stellenwert ein. Wegen ihrer Bedeutung gehört sie auch zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenkassen. „Das Interesse der Patienten ist hoch. Nach Aufklärung über diese Möglichkeiten wünschen praktisch alle Patienten eine molekulargenetische Diagnostik, bei 80 % der Betroffenen ist dadurch eine eindeutige Diagnosesicherung möglich“, fasst Prof. Dr. Ulrich Kellner die Erfahrung aus seiner Schwerpunkt-Sprechstunde zusammen.
Die Ergebnisse der Studie von Professor Dr. Ulrich Kellner vom Zentrum für seltene Netzhauterkrankungen, AugenZentrum Siegburg, Professorin Dr. Katarina Stingl, Universitäts-Augenklinik, Dr. Franziska Bucher, Abteilung Ophthalmologie, Novartis Pharma, und Dr. Sandra Jansen von PRO RETINA ist unter dem Titel „Diagnostik erblicher Netzhautdystrophien. Stellenwert molekulargenetischer Diagnostik aus Patientenperspektive“ erschienen in der Peer-Review-Zeitschrift „Der Ophthalmologe“. Der Artikel ist über diesen Link erreichbar: https://link.springer.com/article/10.1007/s00347-022-01602-w.
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